Spiritualität des Hl. Montfort

"Gott allein", das ist das letzte Wort zahlreicher Schriften und Briefe Grignions. Sein Leben und seine Predigt sind darin auf einen Nenner gebracht. Immer geht es ihm nur um dieses eine: den Menschen einen Weg zu weisen, dessen Ziel Gott allein ist. Deshalb fordert er die Christen dazu auf, ihre Taufe auf den Namen Jesu Christi im Alltagsleben zu verwirklichen, damit ihr ganzes Leben Gott allein gehört. Es ist der Weg zum Vater im Himmel, zu dem der Christ aber nur durch Christus selbst gelangen kann.

 

Wie alle großen Lehrer des Glaubens verliert Grignion dieses Ziel nie aus den Augen; wie sie lehrt auch er nichts anderes als den Weg zur Vereinigung mit Gott. Dabei ist ihm in besonderer Weise die Einsicht geschenkt worden, welche Aufgabe Gott der Mutter seines Sohnes für jeden Abschnitt dieses Weges übertragen hat. Grignion von Montfort bietet also nicht eine Spielart christlicher Frömmigkeit, die sich durch eine besondere, äußerliche marianische Prägung von anderen unterscheidet, sondern den Weg zu Gott mit Maria.

Drei Kleine Schritte

Das Ziel dieses Weges, auch darin stimmt Grignion mit den anderen Meistern des geistlichen Lebens überein, lässt sich nicht mit einem Schritt erreichen. Es ist ein langer Weg, für den man Zeit, Geduld und Durchhaltevermögen braucht, es ist ein Weg kleiner Schritte.


Grignion spricht davon, dass es mehrere Arten wahrer Marienverehrung gebe (GM 24). Richtig verstanden sind es nicht verschiedene Arten oder Formen, zwischen den man wählen könnte, sondern aufeinander folgende und aufeinander aufbauende Stufen:
"Da aber das Wesentliche dieser Frömmigkeit in der Formung des inneren Lebens besteht, wird sie nicht von allen in gleichem Maße verstanden werden ... Wenige werden in ihr Inneres vordringen, aber nur bis zur ersten Stufe. Wer kann bis zur zweiten Stufe emporsteigen? Und wer bis zur dritten? Nur der, dem der Geist Christi dieses Geheimnis enthüllt" (WMV 119).

 

Die 1. Stufe

Drei Stufen, drei Etappen unterscheidet Grignion auf dem Weg zu Gott mit Maria. Die erste Stufe beschreibt er so: "Sie besteht darin, seine Pflichten als Christ zu erfüllen, schwere Sünden zu meiden, aus Liebe und nicht aus Furcht zu handeln, hin und wieder Maria anzurufen und sie als Mutter Gottes zu verehren, aber ohne besonders ausgeprägte Marienfrömmigkeit" (GM 25).


Das ist die Grundstufe des Christseins überhaupt und nichts anderes, als was wir - bzw. unsere Eltern und Paten stellvertretend für uns - bei der Taufe versprochen haben: Christus die Treue zu halten und dem Satan abzuschwören. Wer damit ernsthaft beginnt und sich bekehrt, der schafft die Voraussetzung dafür, dass Gottes Gnade in ihm wirksam werden kann. So beginnt die Liebe zu Gott zu keimen und zu wachsen, und wenn die Bindung an Christus sich vertieft, entfaltet sich auch eine erste Beziehung zu Maria als seiner Mutter.


Für Montfort ist Maria auch schon deshalb bei diesem Anfang gegenwärtig, weil sie die "Mutter der Gnade" ist. Und er ist überzeugt, dass sie den ersten Schritten ihrer Kinder besondere Aufmerksamkeit schenkt - und die ersten Schritte sind immer die schwersten. Aber dieser 1. Schritt muss getan werden, man kann ihn nicht überspringen. Auch die größten Heiligen haben so klein angefangen. Sie lassen uns zugleich immer wieder das Ziel sehen, zu dem wir unterwegs sind.

Die 2. Stufe

Wer sich so ernsthaft bemüht, seine "Pflichten als Christ" treu zu erfüllen, in dem wächst mit der Zeit und unter dem Einfluss der Gnade der Wunsch, Gott näher zu kommen. Das Gewissen wird geschärft, es geht nicht mehr nur darum, die schwere Sünde zu meiden, sondern die Sünde überhaupt. Das Glaubensleben wird intensiver, regelmäßiger und die Verehrung der Mutter Jesu nimmt konkrete Gestalt an. Durch unsere persönlichen Bemühungen und durch das regelmäßige Gebet finden wir immer mehr zu Ausgeglichenheit und Harmonie im religiösen Leben, im Beruf und in der Familie. Unmerklich sind wir von der ersten zur 2. Stufe der wahren Marienverehrung gelangt, die Grignion so beschreibt:


"Die zweite Stufe besteht darin, Maria tiefe Gefühle der Liebe, der Hochachtung, des Vertrauens und der Verehrung entgegenzubringen. Man tritt der Rosenkranz- oder Skapulierbruderschaft bei, betet den Rosenkranz, hält die Marienbilder und Marienaltäre in Ehren, verkündet das Lob Marias und tritt in die marianischen Kongregationen ein. Das alles ist, wenn man die Sünde meidet, heilig und lobenswert" (GM 26).

Die 3. Stufe

Wir könnten versucht sein, uns damit zufrieden zu geben. Nicht so Grignion, und er fügt hinzu: "Aber es ist nicht so vollkommen, dass es uns von jeder ungeordneten Neigung gegenüber uns selbst, den Mitmenschen und der Welt befreit, damit wir mit Jesus Christus vereinigt werden könnten."


Wie Jesus im Evangelium den reichen Jüngling, der von Jugend auf die Gebote gehalten hat, mit Liebe anschaut (Mk 10,21), und ihn dann auffordert: "Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach" (Mt 19,21), so will auch Grignion uns zu diesem Mehr hinführen: zur Vollkommenheit.


So gelangen wir zur 3. Stufe der wahren Marienverehrung, die Grignion die "vollkommene Marienverehrung" nennt. Wie Jesus dem jungen Mann rät, alles zu verkaufen und ihm nachzufolgen, so erklärt Grignion: "Die dritte Stufe der wahren Marienverehrung besteht darin, sich ganz und gar Maria hinzugeben, um durch sie ganz Jesus Christus zu gehören" (WMV 121).

Vollkommene Hingabe

Dieser dritte Schritt auf dem Weg zu Gott mit Maria, von Grignion charakterisiert durch die Hingabe, bedeutet eine grundlegende innere Wandlung in unserem Verhältnis zu Gott. Sie lässt sich nur verstehen auf dem Hintergrund des Wortes Jesu: "Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater empfangen habe" (Joh 15,15). Zu dem, was Jesus von seinem Vater empfangen hat, gehört auch seine Mutter Maria, die er vom Kreuz herab zu unserer Mutter macht (Joh 19,27).

 

Die Hingabe wird zum Zeichen dafür, dass sich in uns dieser Übergang vom Knecht zum Freund Gottes vollzieht oder doch zu vollziehen beginnt. Dieser Übergang verdankt sich nicht einfach nur menschlichem Bemühen, sondern dem Wirken der Gnade und – wie Grignion sagt (WMV 119) – dem Einfluss des Heiligen Geistes, "in dem wir rufen: Abba, Vater!" (Röm 8,15). Es ist der Geist der Kindschaft (Gal 4,5), der uns in das Geheimnis Marias – ihrer bleibenden Aufgabe in der Heilsgeschichte – einführt und uns zu dieser Hingabe in der Weihe an Jesus Christus durch Maria befähigt.

 

Vollkommene Erneuerung des Taufgelübdes

Wie das von Grignion selbst verfasste Weihegebet (LEW 223-227) deutlich macht, richtet sich die Weihe an Jesus Christus. Sie schließt alles ein, ist also Hingabe alles dessen, was wir sind und haben. Grignion kann sie deshalb auch als "vollkommene Erneuerung des Taufgelübdes" bezeichnen, weil sie radikal Ernst macht mit dem, was wir in der Taufe geworden sind und gelobt haben. Die Weihe ist marianisch, indem sie Marias Aufgabe in der Heilsgeschichte und auf unserem Weg zu Gott ausdrücklich anerkennt; sie ist schließlich apostolisch, denn ihr Ziel ist es, Christen heranzubilden, die das Kommen des Reiches Gottes hier und jetzt durch das Reich Marias voranbringen.


Die Weihe ist keineswegs für den schon "vollkommenen" Christen gedacht, sie ist eine entscheidende und wirksame Hilfe, um auf dem Weg zu Gott voranzukommen. Grignion schreibt ihr sieben Wirkungen zu: sie befreit uns von den egoistischen Neigungen; sie lässt uns in den Glauben Marias hineinwachsen; sie befreit uns von allen Zweifeln und Ängsten im Glauben; sie stärkt in uns das Vertrauen in Gott und in Maria; sie zieht den Heiligen Geist, der Maria ganz erfüllte, in unser Herz; sie lässt uns Christus, der sich ganz dem Vater hingegeben hat, immer ähnlicher werden; schließlich bewirkt sie, dass alles, was wir sind, haben und tun, einzig der größeren Ehre Gottes dient.

 

(Zur Vertiefung: Stefano de Fiores, Auf einer Wellenlänge mit Maria, Verlag Butzon/Bercker, Kevelaer)
Quelle: www.montfort-missionswerk.com